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In Gossip we trust

Letzte Worte zur Präsidentschaftswahl in den USA
GESPIEL GESPRÄCH mit Ralf Eichert

Vorbemerkung. Gut zwei Monate lang habe ich Facetten des US-Präsidentschaftswahlkampfes kommentiert. Immer ein wenig hoffend, das es Hillary Clinton als bessere von zwei nicht besonders überzeugenden Kandidierenden am Ende schafft. Für meinen letzten Beitrag habe ich mir gesagt – warum nach einem insgesamt ziemlich irrwitzigen Wahlkampfgeschehen, selbst nicht auch etwas irrwitziges zum Abschluss zu Papier bringen. Nicht unbedingt im Inhalt, aber in der Form. Also - ein Interview mit mir selbst. Natürlich völlig unabhängig, objektiv und frei von postfaktischen Emanationen.

GESPIEL: Vor rund zwei Wochen wurde der Unternehmer Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt. Er gilt allgemein hin als unberechenbar – hatten Sie mit seiner Wahl gerechnet?

EICHERT: Wenn ich jetzt Ja sagen würde, würden fast alle anderen sagen – klar – im Nachhinein kommt der Besserwisser aus dem Loch. Die Antwort liegt eigentlich schon in Ihrer Frage. Die Unberechenbarkeit durchzog den gesamten Wahlkampf der Trump-Campaign, bereits frühzeitig während der Vorwahlen zur Kandidatenfindung innerhalb der Partei der Republikaner. Lassen Sie mich frei zitierend Hegel bemühen. Ist nicht die Furcht zu irren, bereits der Irrtum selbst? Ich gehöre wohl zu jener großen Gruppe Menschen, die sich trotz gewisser wahrnehmbarer Anzeichen und allerlei geäußerten Befürchtungen bezüglich eines Trump-Sieges, grundsätzlich geiirt haben. So nach dem Motto – es kann nicht sein, was nicht sein darf.

GESPIEL: Also hat sie Donald Trump eines besseren belehrt? Sie waren im September 2016 selbst für knapp einen Monat an der Ostküste der USA unterwegs. Haben Sie da Anzeichen wahrgenommen?

EICHERT: Nur kurz – belehrt hat mich der Wahlsieg Trumps durchaus, aber nicht eines besseren. Hier hat schlichtweg nicht der Bessere obsiegt. Anzeichen gab es in Hülle und Fülle; vom deutschen Fernsehzuschauer und Zeitungsleser sicherlich nicht so wahrnehmbar gewesen, wie für die Amerikaner selbst. Es scheint mir ohnehin so, das dass schon vor rund eineinhalb Jahren in den USA ausgebrochene Trump-Fieber nun zwei Wochen nach der Wahl, insbesondere in Deutschland, ganz besonders diagnostiziert wird. So als wäre Donald Trump erst am Wahlabend aus der Kiste gesprungen. In den USA stellte sich das völlig anders dar. Als chancenlos wurde der populistisch agierende und politische Seiteneinsteiger Donald Trump – der eigentlich eher ein lautes Sprachrohr der ab 2009 formierten und seit dem sehr stark etablierten Tea-Party-Bewegung ist, denn ein echter Kandidat der Republikaner – in den USA nie bewertet. Sicherlich haben die Medien insgesamt zu sehr und zu lange Quoten heischend auf den Unterhaltungswert der Trump-Campaign gesetzt und sich zu spät mit den Details der politischen Botschaften sowie mit den weiterhin bestehenden Problematiken seiner unternehmerischen Tätigkeiten inklusive juristisch relevanter Aspekte befasst. Auch im Lager der Clinton-Campaign hat man sich zu selbstsicher darauf verlassen, das am Ende doch die Vernunft über die Verblendung siegt. Aber denkste. Am Ende kam es dann doch anders, als fast alle dachten. Im Amerikanischen gibt es eine Spruchweisheit – expect the unexpectable – erwarte das Unerwartbare.

GESPIEL: Das klingt nun aber doch etwas nach Besserwisserei im Nachhinein oder zumindest danach, als hätten Sie dann doch schon frühzeitiger mit einem Trump-Sieg gerechnet.

EICHERT: Faktisch nicht – postfaktisch schon eher. Wie bereits schon gesagt, habe auch ich bis zu letzt gedacht – am Tag des Urnengangs endet der Lauf des Donald Trump und Hillary Clinton wird – durchaus knapp – siegen. Der gesamte Verlauf beider Kampagnen ließ diesen Schluss auch einigermaßen verlässlich zu. Es war ein durchaus schwankender Verlauf. Und beide Kampagnen waren stets von einem hohen Maß an Emotionalitäten, an persönlichen Angriffen und Händeln sowie zahlreichen Behauptungen geprägt, die eher auf die Magengrube statt auf das Hirn zielten. Im Sommer, Ende Juli/Anfang August überholte Trump Clinton für kurze Zeit in den Umfragen und Mitte September (nach Clintons Schwächeanfall bei den 9/11 Memorial-Feierlichkeiten) zog Trump nach sinkenden Werten an und lag mit Clinton fast gleichauf. Auch nur für kurze Zeit. Anfang November – rund eine Woche vor dem Wahltag – erreichte Trumpf erneut Umfragewerte, die sehr nahe an denen von Clinton waren. Schaut man sich den grafisch dargestellten Verlauf der Umfragen an, so stellt man fest, das es ab April/Mai drei 2-Monatszeiträume gibt in denen Trump umfragetechnisch jeweils für nur knapp eine Woche aus einer längeren Down-Phase kurzfristig in eine Up-Phase gelangte. Die letzte Up-Phase war die Woche vor dem Wahltag. Eine nicht unwesentliche Rolle spielte hier – davon bin ich überzeugt – das Statement des FBI-Chefs, wegen neuer Untersuchungsergebnisse hätte Hillary Clinton in der so genannten und seit längerer Zeit gärenden E-Mail Affäre, mit neuerlichen juristischen Konsequenzen zu rechnen. Dies Statement ca. zwei Wochen vor dem Wahltag in die Welt setzend, relativierte der FBI-Chef James Comey dann einige Tage später dahingehend, das er verlautbaren ließ, Hillary Clinton hätte doch keine weiteren Konsequenzen in Sachen Strafverfolgung zu befürchten. Da hatte einer zugunsten Trumps noch mal schnell den Turbo gezündet. Zahlentechnisch lässt sich das bezüglich des Wählerverhaltens kaum ermessen – gewirkt aber hat es für Trump, was nicht automatisch bedeutet, das ansonsten Hillary Clinton die Nase vorn gehabt hätte. Glaskugellesen bringt letztendlich niemanden weiter. Allgemein bleibt jedoch im Nachhinein festzustellen, das Trump mehr Mobilisierungskräfte entfaltet hat, als Hillary Clinton. Auf den Punkt genau hat es ihm in der letzten Woche genützt. Sicher kein Überzeugungssieg. Im Terminus der Boxer-Sprache eher ein Lucky Punsh.

GESPIEL: Apropos Lucky Punsh. Wie bewerten Sie die Social-Media Aktivitäten Trumps und seines Wahlkampf-Teams?

EICHERT: Als Kind hatte ich oft und gerne eine amerikanische Cartoon-Film-Serie mit dem Kater „Sylvester“ geschaut. Der Plot ist schnell erzählt. Eine etwas senile Oma hat drei Haustiere – Hund, Kater, Kanarienvogel. Ständig vergisst sie den Vogelkäfig zu schließen, sodass der Kanarienvogel durch die Wohnung flattert. Der Kater unternimmt ständig versuche an den Vogel ranzukommen, um ihn zu fressen. Der Hund soll den Kater in Schach halten und den Vogel beschützen. Alle drei jagen ständig durch die Wohnung, wobei der Vogel dem Kater – oft unter Ausnutzung der Hilfsbereitschaft des ziemlich dümmlichen Hundes – durch Anwendung von allerlei Tricks und fiesen Finten entkommt und Kater wie Hund am Ende jeder turbulenten Hetzjagd zerzaust, zermürbt, zermartert und fast zu Tode getrampelt darniederlagen. Der Kanarienvogel in der Cartoon-Serie heißt Tweety.
Ich denke Donald Trump hat für seine Zwecke mit dem Wahlkampf-Segment seiner Social-Media Tweet-Campaign auf Twitter sowie – wenn auch etwas weniger intensiv - auf Facebook, alles richtig gemacht. Postfaktisch besser geht’s kaum in der Infotainment-Welt. In Gossip we trust.

GESPIEL: Wo waren Sie eigentlich am Wahlabend, der in Deutschland in tiefer Nacht lag?

EICHERT: Zwischen 22:00 und ca. 7:00 Uhr verbrachte ich die Nacht vom 08. auf den 09. November 2016 in Stuttgart auf der Wahl-Party des DAZ. Als sich gegen Mitternacht deutscher Zeit bei den Auswertungen der nach und nach einlaufenden Wahlergebnisse auf CNN immer mehr abzeichnete, das es nicht nur drei Swing-States gibt, sondern plötzlich doppelt so viele, dämmerte mir so langsam, dass Hillary Clinton den nächsten Tag anders begrüßen werden wird, als erwartet.

GESPIEL: Okay. So oder so. Irren, wirren, alle Analysten lagen falsch. Die Wünsche der Einen gingen in Erfüllung, das Hoffen der Anderen zerstob zu Sternenstaub. Fakt und Realität ist – Donald Trump wurde zum Präsidenten der USA gewählt. Wie geht man damit nun um?

EICHERT: Zunächst einmal mit dem klaren Bewusstsein, dass das amerikanische Volk in seinem demokratischen System Donald Trump zum Präsidenten gewählt hat und nicht Hillary Clinton. Die Bürger der USA müssen damit an erster Stelle nun klarkommen, denn ihr gewählter Präsident ist das Oberhaupt des US-amerikanischen Volkes, ebenso wie die Resultate in den Kammern auf Capitol Hill in erster Linie eine Angelegenheit des ‚we the people’ Volkes sind. Die außenpolitische Wirkung in Verbindung mit dieser Präsidentenwahl ist natürlich nicht ohne Probleme, birgt möglicherweise größere Probleme als bei bisherigen US-Präsidentschaftswahlen der jüngeren Geschichte, aber ich glaube nicht das Donald Trump morgen in Brüssel einmarschiert und das NATO-Hauptquartier besetzt. Außerdem – im Moment da wir hier miteinander reden, tagt die Parlamentarische Versammlung der NATO in Istanbul. Die aktuellen Probleme mit Erdogan in der Türkei dürften derzeit wichtiger sein, als Trumps wirre NATO-Visionen, die doch…

GESPIEL: ...im US-Wahlkampf hat sich das aber ganz anders angehört. Stichwort ‚Zahlemann & Söhne’. Schutzschirme der Schutzmacht USA – insbesondere für die Europäer - sollen demnächst einen höheren Preis haben. Trump hat im Wahlkampf ziemlich deutlich dargestellt, dass er das militärische, sicherheitspolitische und Werte verbindende Engagement der USA in der NATO dann zurückfahren möchte, wenn die Europäer nicht mehr Eigenengagement an den Tag legen oder – den USA für ihre Schutzmachtleistungen zukünftig schlichtweg so etwas wie Dienstleistungsgebühren zahlen. Der Preis wird heiß, oder?

EICHERT: Schauen wir mal, dann sehen wir schon. Trumps außenpolitisches Wahlkampfgeplänkel mit teilweise martialischen Worten zielte vornehmlich auf die amerikanische Innenpolitik. Wer seine Reden über die drei Fernseh-Debatten hinaus verfolgt hat, kann feststellen, das er stets versucht hat unter seinem Slogan „Let’s make America great again“ eine Art Kosten-Nutzen-Rechnung aufzumachen. Ziemlich Marktschreierisch hat er dabei so ziemlich alles in einen Topf geworfen was politisch mit Fragen an das generelle Soll und Haben auf dem Konto zu tun hat. Der Tenor war stets der – wir Amerikaner zahlen und zahlen, machen und tun, aber haben selbst nichts davon. Ob das nun mit Außenpolitik, mit NATO, NAFTA oder TTIP, mit der Idee eines riesigen Mauerbauprojekts an der Grenze zu Mexico, Steuersenkungen, Kosten für die staatliche Gesundheitsversorgung unter dem zum Schimpfwort avancierten Stichwort „Obama-Care“, mit Reformen in der Bildungspolitik, mit der Frage an das Soziale Amerika, die Gender-Gerechtigkeit, die Lebenssituationen der Afro-Amerikaner, Latino-Amerikaner und andere amerikanischer Immigranten geht oder am Ende gar nur um den ersten Amerikaner auf dem Mars – all das war Donald Trump im Wahlkampf ziemlich wurscht. Ihm fehlt dies bezüglich tatsächlich die politische Erfahrung und der Überblick.
Wichtig und wesentlich war der fordernde Schrei im Furor an das zum Hassobjekt hochstilisierte amerikanische Establishment: We want our money back. Checks and Balances in der amerikanischen Innenpolitik müssen wieder als Cash auf dem Konto des Volkes sichtbar werden. Es ist viel einfacher, als so mancher über Trump in Trumps Kopf zu denken meint.

GESPIEL: Ist es tatsächlich so einfach? Reicht purer Populismus aus, um in heutiger Zeit für die Zukunft ernsthaft Politik zu gestalten?

EICHERT: Es reicht aus – das US-Wahlergebnis spricht für sich – mit simplifizierten Politik-Angeboten, mit vereinfachten Weltbildern und mit einem gehörigen Schuss Ressentimentschürung zur Weckung schlummernden Volkszorns, zumindest an die Macht zu kommen. Doch auch hier gilt – nach der Wahl ist vor der Wahl.
Es kommt auf die Amerikaner an. Wenn sie ab jetzt – zumindest die leicht größere Hälfte, die mit ihrer Stimme Hillary Clinton bzw. die Demokraten gewählt haben – von und durch und mit Donald Trump beunruhigt bleiben und zugleich Demokraten und Republikaner über Erneuerungsprozesse in ihren Parteien nachdenken, weniger abgehoben agieren, wieder mehr an die Gesinnung statt ans Geld denken, möglicherweise sogar das System mit den Wahlmännern/-frauen mit dem Ziel es abzuschaffen in Frage stellen, dann herrscht Zuversicht. Und in vier Jahren ist Donald Trump Geschichte. Vielleicht sogar schneller, wenn seine Wähler enttäuschend feststellen, das sie nur die andere Seite derselben Establishment-Münze gewählt haben.
Wenn ab diesen Tagen die weiterhin bestehende Großartigkeit der USA nicht mehr ständig als „The winner takes it all“ Prinzip definiert wird, Donald Trump sozusagen der letzte seiner Art ist, und man sich zukünftig mehr bemüht auch die Menschen auf den Plätzen zwei und drei mitzunehmen und einzubinden, dann könnten sich alle Amerikaner den Slogan „Keep America great“ Konsens bildend auf’s T-Shirt drucken. Vier Jahre wird man warten müssen. Nicht gelähmt und verharrend, aber manchmal macht Demokratie im stetigen Prozess einen Sprung zurück, um danach zwei nach vorne zu springen. Andersherum würde es allerdings sehr bedenklich werden.

GESPIEL: Trauern Sie Barak Obama nach?

EICHERT: Soweit ich weiß erfreut er sich bester Gesundheit und hat noch viel Leben vor sich. Ich hätte dieser unvollendeten Präsidentschaft gerne nochmals vier Jahre gegönnt. Politisch wird man von ihm meiner Meinung nach noch einiges hören. Was von ihm als Präsident bleiben wird, ist ein neuer Stil, eine neue Ausformung des Amtes – wenn Sie so wollen ein modern spirit im politischen Geschäft Amerikas, im Inneren wie nach Außen. Das Erbe Obamas – auch wegen der konfrontationsfreudigen und polarisierenden Nachfolge durch Donald Trump – wird darin bestehen, das die USA über ihr eigenes Rollenverständnis und über ihre Rolle in der Welt neu und tiefgehend nachdenken werden. Gerade weil ein Simpel jetzt das Sagen hat.

GESPIEL: Herr Eichert, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Gespräch führten Me, Myself and I.

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