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Sag zum Abschied leise Servus - nicht Adieu und nicht auf Wiedersehen

Ich war nie Merkel-Fan, aber auch nie ein durchgewaschener CDU-Gegner. Die Ex-kohlsche Mein-Mädchen-Personalie als Kanzlerin Angela Merkel war mir von Anbeginn an zu inspirationslos und ihre (zu) lange Amtszeit betrachte ich als ähnlich lähmend, wie vor gut zwei Jahrzehnten die letzten Mehltau-Jahre unter dem Kanzler Helmut Kohl. Meiner Auffassung nach hätte - aus Sicht der Christunionisten - spätestens ab dem Wahljahr 2009 auf dem Zettel von Angela Merkel und der CDU / CSU ebenso das stehen können, das nun als Überschrift auf dem Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition unter dem Bundeskanzler Olaf Scholz steht - Mehr Fortschritt wagen. Doch mit und unter Angela Merkel war kein neues Wagnis möglich. Ein vergeudetes Jahrzehnt ab 2009 unter dem Stichwort der politischen Gestaltungskraft. Die Henne und ihr christunionistisches Geflügel haben zu lange auf nie wirklich ausgebrüteten Eiern gehockt. Kein Wunder also, dass der ganze Stall nun in sich selbst zusammengebrochen ist und Friedrich Merz als alter Kempe aus vergangenen Zeiten, zum Modernisierer für die Zukunft hochstilisiert wird. Old gold retold. Dabei verfügt doch die CDU / CSU in ihren Reihen mittlerweile auch über allerlei gendertaugliches Multi-Kulti-Vielfalt-Personal neben den notorischen alten weißen Männern.

Vor noch nicht allzu lang zurückliegender Zeit war insbesondere die CDU mit ihren führenden Granden doch froh, um einst Angela Merkel als Frau ins kalte Wasser zu werfen, damit die kohlschen Geldkoffer-Bewegungen nicht allzu sehr die Partei beschädigen. Ein Schäuble-Teufel, der dabei Böses denkt. Dumm nur - die Ossi-Personalie ließ sich nicht mehr partei-intern entsorgen. Kaum hatte man in der CDU Angela Merkel mehr als den kleinen Finger gereicht, biss sie vielen die ganze Hand weg. Blut floss dabei nie, aber der Schmerz ist bis heute nachhaltig spürbar. Auch Norbert Röttgen bekam dies heute am Tag der Wahl zum neuen CDU-Parteivorsitz am 17. 12. 2021 zu spüren. Über Helge Braun muss man nicht weiter reden. Mit Friedrich Merz hat der schlechtere Kandidat gewonnen.

Man erinnere sich nur beispielhaft an die Umstände der Einführung der so genannten 'Ehe für alle', sprich für all diejenigen in unserer Gesellschaft, die in ihrem Leben nicht den normativen Kräften des Hetero-Daseins inklusive altbackener Lebensmodelle unterliegen. In einer Podiumsdiskussion mit Personality-Zuschnitt auf die Gäst*in Angela Merkel, ausgerichtet von einer Frauen-Zeitschrift, hatte sich Merkel - eher im Wort vergreifend denn wörtlich bekennend - zur Ehe für alle bekannt bzw. diese nach dem Motto - also wenn sie mich persönlich fragen - sich gegen ein solches Bekenntnis nicht gewehrt. Und Schwuppdiwupp - Homos und Diverse hörten die Signale - brachten die Sozialdemokraten in der damaligen Koalition im High-Speed-Verfahren einen Abstimmungsantrag zur Gesetzesänderung ein. Und Zack - erfolgreiche Zustimmung zur Ehe für alle. Das Knallen der Sektkorken im Haushalt der ehemaligen SPD-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin war damals von Passau bis Flensburg hörbar. Der Kanzlerin war das alles eher wurscht; in der CDU / CSU insgesamt aber, brachen halbe Weltbilder zusammen.

Man hat bereits ab 2005 - nach dem Gerhard Schröder noch ganz un-atheistisch meinte, man könne die SPD als „Kirche“ noch mal zurück ins Dorf holen - in der CDU / CSU nicht erkannt, dass die abgestraften und gebeutelten Sozis auch im Niedergang an einer Song-Zeile von Tom Petty festhalten werden - We won’t back down. Even at the gates of hell, we won’t back down. Der Autor hält Lars Klingbeil in diesem Zusammenhang für echt glaubwürdig. Weil er ein Stromgitarre spielender Partei-Soldat ist. Gute Wahl zum Parteivorsitz, nebenbei bemerkt.

Und schneller als es sich Wolfgang Schäuble in seinen schlimmsten Träumen vorstellen konnte, kam es so. Ab 2005 regierte Angela Merkel in der GroKo I aus frohgemuter CDU / CSU und abgestrafter SPD, doch alsbald hieß es in den Medien bezüglich der Regierungs-Kreuzfahrt auf dem Deutschland-Dampfer immer öfter - die Christunionisten laben sich auf dem Sonnendeck und die SPD ackert im Maschinenraum. Und in der Tat war es vielfach so. Die „CDU-Allzweckwaffe“ aus Niedersachsen z.B., Ursula von der Leyen, konnte sich im Amt der Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von 2005 an, als moderne Gesellschaftspolitikerin im christunionistischen Lager brüsten, weil Renate Schmidt in ihrer Arbeit im selben "Gedöns-Resort" während der Rot-Grünen Regierungsphase von 1998 bis 2005 fundamentale Kernerarbeit geleistet und gesetzliche Umsetzungen vollzogen hatte. Da war es ein Leichtes für die „Uschi“, moderne Familien- und Gesellschaftspolitik als ihre Sache, als eine Sache der CDU / CSU zu verkaufen.

Die SPD. Bei allem was man falsch machen kann - und Fehlermachen inklusive eines lessons-learned Management gehören nun mal auch zum politischen Geschäft - hat in den destruktiven Phasen für die Partei, die jeweiligen Fraktionsbildungen in drei GroKo-Regierungen sowie in einer Phase der Opposition unter dem Strich alles richtig gemacht, wenn es um den Beweis des langen Atems zum Machtwechsel geht. Es hat zwar enorm lange und mit all zu viel Herumgeeiere gedauert - Steinmeier (2009), Steinbrück (2013), Schulz (2017) - doch am Ende hat es mit Olaf Scholz (2021) funktioniert. Allerdings eher wegen der inzwischen großen Schwäche der CDU / CDU und weniger durch die Stärke der deutschen Sozialdemokratie.

Kurzer historischer Rückblick. Nach der den Wende-Jahren 1989 / 1990 musste die SPD über lange Jahre hinweg mit den gescheiterten Kandidaten Oskar Lafontaine (1990) und Rudolf Scharping (1994) auch Schlappen hinnehmen, bis der Wechsel mit Gerhard Schröder klappte. Damals lag die SPD - vor den dann später kommenden schröderschen Reformen - prozenttechnisch noch im 30 plus X Bereich. Heute sind 20% plus X bereits ein enormes Zustimmungsbekenntnis zur SPD mit Olaf Scholz. Ergo - abräumen in der großen Mitte war gestern. Gilt für alle bisher so genannten Volksparteien. Ein ohnehin immer dümmlich gewesener Begriff zur Beschreibung von zwei starken Parteien in Deutschland infolge Wählervotum. Aus Sicht der Wähler*innen sind alle zur Wahl stehenden Parteien Volksparteien. Mittlerweile teilen sich fünf Parteien den 100-Prozent-Kuchen. Auch die AfD ist dabei immer noch für 10% plus X gut oder schlecht. Je nachdem, wo man als Demokrat*in und wahre Republkaner*in steht. Und somit - um den ganzen Laden zusammenzuhalten - werden nun und wahrscheinlich für lange Zeit, nicht nur eine große und eine kleine oder zwei große Parteien benötigt, sondern drei mittelgroße Parteien als Koalitionsbündnis. Es wird schwieriger, die Gesellschaft in der Regierung abzubilden. Wenn es die Ampel gut macht bis 2025, drohen den Deutschen keine "italienischen Verhältnisse".

Das Wechselmoment spielt hierbei eine große Rolle. Die Bürger*innen in Deutschland - Manfred Güllner bei Forsa möge diese verkürzte Analyse verzeihen - wählen in der Tendenz eher auf Nummer sicher, statt in Richtung radikaler Wechsel. Der Autor ist sogar der Meinung, die Deutschen ticken eher links als Attitüde im Feuilleton, wählen dann aber eher rechts wegen der Sicherheit für die Besitzstandswahrung. Total weltoffen, aber bitte keine Experimente in my backyard. Jetzt mit Olaf Scholz hat es im Spagat funktioniert - soviel Bewahrungssicherheit wie möglich und so wenig „Revolution“ wie möglich. Auf die „Rauten-Mutti“ folgt die „Grinseglatze“. Läuft auf Instagram.

Hinzu kommt, dass es in Deutschland bis zum Aufkommen der GRÜNEN seit Gründung der Bundesrepublik eigentlich immer nur die Entscheidung gab (inklusive der FDP als sprichwörtliches Zünglein an der Waage) zwischen eher bewahrender und moderat fortschrittlicher CDU / CSU und eher experiementierfreudiger und auf die Zukunftsbewältigungsfragen ausgerichteten SPD. Die SPD ist durchaus eher eine Fortschrittspartei, während die CDU / CSU eher eine Bewahrungspartei ist. Klischeemäßig hier der Einfachheit wegen so formuliert. Die Dynamik innerhalb dieser und anderer Parteien ist natürlich vorhanden und bedeutsamer als das hier kurz und knapp formulierte Klischee. Und übrigens - dieser von Helmut Schmidt überlieferte Spruch „Wer Visionen hat, der soll zum Arzt“ gehen, er war zu seiner Zeit tatsächlich ein passendes Statement als vertrauensbildende Maßnahme der SPD-Politik in den damaligen Zeiten im Zusammenhang mit der damaligen sozial-liberalen Koalition über Jahre hinweg. Als Maßstab für die Sozi-Politik insgesamt taugt der Schmidt-Spruch allerdings nicht.

Die Generation des Autors ist nunmehr mit 40 Jahren DIE GRÜNEN und dann nach der Vollendung der deutschen Einheit mit GRÜNEN / Bündnis 90 aufgewachsen. Inzwischen nennt sich die Partei wieder nur GRÜNE. Nur die Sonnenblume blieb stabil im Sinne der corporate identity. Die FDP dümpelt damals wie heute immer um 10% herum, in den Ländern wie im Bund und bleibt Zünglein an der Waage. Bei Christian Lindner heißt das natürlich „Königsmacher“. Wir haben in Deutschland nicht mehr nur einen punktuellen GRÜN-Hype bei dieser oder jener Wahl, wie z.B. in Baden-Württemberg, sondern wir müssen schlichtweg anerkennen, dass die GRÜNEN im Zuge der zurückliegenden 20 Jahre zu einer bedeutsamen politischen Kraft in unserem Land herangewachsen sind. Unsere Parteienlandschaft hat sich seit Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Willy Brand, Helmut Schmidt, Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel - glücklicher Weise - verändert. Enorm verändert im Zuge der zurückliegenden 15 Jahre. Leider auch im Zuge weniger weit zurückliegender Jahre durch den Einzug der AfD in den deutschen Bundestag und zahlreich Parlamente auf Landesebene sowie in Ratsstrukturen auf kommunaler Ebene. Nun gut - wer in der Demokratie nach Vielfalt ruft, der muss auch das Risiko in Kauf nehmen, dass dieser Ruf nach mehr Licht auch mehr dunkle Schatten werfen kann. Demokratie ist nie starrer Zustand, sondern stetiger Prozess. Und es kommt in der Tat auf die permanente Wachsamkeit und Einmischung jeder und jedes Einzelnen in das demokratische Prozessgeschehen an, um rechtzeitig zu erkenn, ab wann die sprichwörtliche Spreu vom Weizen zu trennen ist. Dabei muss man sich nicht tagtäglich im Schlaf herumwälzen - Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht - aber wenigstens einmal im Quartal den eigenen Blick auf den Zustand unserer Demokratie zu werfen, das kann man schon als Tugendpflicht verstehen.

Der anspruchsvolle Aufbruch der frischen Ampel-Regierungskoalition aus SPD, GRÜNEN und FDP verspricht derzeit viel Fortschritt-Wagnis. Wer wagt, gewinnt, sagt ein Sprichwort. Schauen wir postum mit Harald Schmidt und Herbert Feuerstein in deren ehemaliger TV-Sendung „Schmidteinander“ unter der Rubrik „Schauen wir mal, ob das Sprichwort stimmt?“ nach. Macht das Wagnis allein schon den Gewinner? Nein. Nicht im Wagnis, sondern erst beim Umsetzen zeigt sich der positive oder negative Erfolg. Also - das hat der Autor immerhin von Angela Merkel gelernt - wir müssen Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner schon jetzt vom Ende her denken. Wo stehen wir in vier Jahren? Vielleicht morgen nur dort, wo andere Nationen schon seit zehn Jahren stehen. Weil wir immer wagen und wollen in Deutschland, aber zu langsam sind, das Wollen als Wille zur Wirklichkeit werden zu lassen. Denn wie heißt es bereits im ersten Satz der Präambel unserer grundgesetzlichen Verfassung: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt… Eben - bewusstseinsgläubig beseelt und nicht verstandesorientiert geleitet.

In diesem Sinne - Hallelujah.

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