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Piks populi

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Am 24. Februar 2021 zitiert SPIEGEL ONLINE die Bundeskanzlerin mit den Worten:

„Wir sprechen im Augenblick darüber, wie es logistisch gelingt, in einer Woche 7,5 bis 9,5 Millionen Dosen zu verimpfen.“ Und führt weiter aus, „die Impfzentren schafften das nicht allein, dazu würden noch die niedergelassenen Ärzte gebraucht, sagte Merkel.“

Was hat mich am Merkel-Zitat verwundert? Der Begriff „logistisch“. Denn es geht beim Fehlermanagement zum Ziel der Verbesserung der erheblich ins Stocken geratenen Impf-Kampagne weniger um Logistik-Probleme, sondern um Produktionskapazitäten. Etwas volkstümlicher ausgedrückt - es geht um das Herstellen und nicht um das Herankarren der Impfstoffdosen. Die rund 445 Impfzentren - teilweise stylischer designed als so manches kommunale Bürgerbüro - stehen gut ausgestattet da. Technisch wie personell. Und im Falle von Personalmangel springt die Bundeswehr helfend bei.

Auch bei den Impftermin-Vergaben läuft es überall dort, wo man sich auf Ebene der Bundesländer nicht auf die schlecht gemachten zentralen Angebote der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) mit ihrer „Elfen-Homepage“ und der bundesweiten 116117-Hotline verlassen hat, nach einigen Startschwierigkeiten den Umständen entsprechend gut. Richtig professionell ist die ganze Impf-Kampagne aber nicht; weder vom Start weg noch in ihrem Verlauf. Unbegreiflich ist mir bis heute, warum man nicht bereits werbend ab Spätsommer / Herbst 2020, als die ersten Impfstoffzulassungen zum Jahreswechsel 2020 / 2021 absehbar waren, eine nationale Pro-Impf-Image-Kampagne auf allen Kanälen ins Leben gerufen hat. Zur Einstimmung und Vorbereitung der Bevölkerung auf den dann nach Weihnachten 2020 gekommenen Impf-Start. Ganz nach dem Werbe-Motto „Akzeptanz durch Penetranz“.

Wo ist die Pro-Impf Werbe-Kampagne?

Vor Jahrzehnten, im Falle der für die gesamte Menschheit weit weniger bedrohlichen HIV-Virus Erkrankung, dem Acquired Immune Deficiency Syndrome, der durch Sexualpraktiken erwerbbaren Auto-immunschwäschekrankheit AIDS, wurde das ganze Land flächendeckend mit Plakaten „Gib Aids keine Chance“ zugepflastert. Es lief jahrelang eine nationale Aufklärungskampagne und in TV-Spots schrie Hella von Sinnen in der Rolle einer Supermarkt-Kasssiererin immer noch „Tina, wo sind eigentlich die Kondome“, als AIDS schon längst im Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung verankert war. Und auch mit sozialer Dramatik wurde nicht gespart.

Ich erinnere mich noch gut an einen damaligen TV-Spot mit dem 2016 verstorbenen Schauspieler Uwe Friedrichs. Er kam als fremdgegangener Ehemann nach Hause und bat seine Ehefrau zum „Beichtgespräch“. Alles in einem düster-ernsten Setting auf der Wohnzimmer-Couch gefilmt. Und die Fremdgehen-Beichte geriet zur Diskussion über ungeschützten Geschlechtsverkehr in Zeiten von AIDS inklusive heraufziehendem Ehe-Drama. Derartige TV-Spots haben den Ernst der Lage als Gänsehaut in die Poren der TV-Zuschauer eingebrannt - ohne übertriebene Ängste oder gar Panik zu schüren. Warum gibt es ähnliche Werbe-Kampagnen bis heute nicht in Sachen Pro-Impfung wider SARS-CoV-2?

Hätte man nicht mal für einige Monate auf „Börse vor Acht“ verzichten können und stattdessen in den wenigen Minuten vor Beginn der 20-Uhr-Tagesschau schon längst allabendlich einen Pro-Impf-Trailer einspielen können?! Und auch diese lustigen „Wissen vor Acht“ Spots hätten sich schon längst aufklärerisch um das Covid- und Impf-Thema drehen können, ja müssen.

Die Millionenbeträge zur Entwicklung einer in der Praxisanwendung relativ nutzlosen Corona-App hätten besser in eine flächendeckende Werbung und Öffentlichkeitsarbeit bezüglich der Aufklärung über Covid-19 und insbesondere in eine massive Werbung für das Impfen investiert werden sollen.

Dass vor Ort zu wenig geimpft wird, lag in den zurückliegenden rund zwei Monaten vor allem am phasenweisen Mangel an Impfstoff-Nachschub mangels Produktionskapazitäten. Hinzu kam ein wenig professionell aufgestelltes Termin-Vergabe-System unter Federführung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) mit der zentralen Terminvergabe-Hotline 116117 sowie der damit korrespondierenden Online-Plattform. Bis heute läuft da vieles ins Leere. Und seit zwei, drei Wochen kommt noch eine wirre Diskussion um den Impfstoff von AstraZeneca hinzu, bei dem in der Öffentlichkeit der falsche Eindruck erzeugt wurde, es handele sich bei diesem Impfstoff um eine Art B-Ware mit hohen Wirksamkeitsdefiziten.

Ein kurzes Hurra auf die biologischen Wissenschaften

Unter dem Strich muss neben zahlreichen Fehl- und Versagensmomenten im Zuge der deutschen Impf-Kampagne bisher, dennoch grundsätzlich dies klar festgestellt werden. Im Verlauf des Jahres 2020 ist es - übrigens nicht immer nur in Mainz und Tübingen - gelungen, eine neue Impftechnologie (an der zuvor ja schon Jahre geforscht wurde) in Kombination mit spezifischen molekular-biologischen Wirkungsweisen zur Anwendungsreife zu bringen. Das war R&D-Warb-Speed, wie ihn die Menschheit bisher nicht gesehen hat. Dank einer global vernetzten Wissenschaft im molekular-biologischen Bereich stehen wir im Prinzip ab dem Tag, da der virale Aggressor in unseren Zellhaushalt eindrang, nahezu gleichberechtigt und fast zeitgleich mit unseren immunologischen Abwehrinstrumenten, sprich funktionierenden Impfstoffen, zur Abwehr bereit. Also - all you Zombies hide your Faces.

Hört auf, den Segen der schnellen Impfstoffentwickelung gegen euch selbst zu richten und z.B. die Impfgabe mit dem AstraZeneca-Impstoff zu verweigern oder zumindest auf die lange Bank zu schieben, nur weil ihr meint, dass alsbald eine frische BioNTech-Lieferung nur für euch bereitsteht. Nein. Es wird verimpft was ordentlich zugelassen da ist. Basta.

Zahlensalat (kann Spuren von politischem Populismus enthalten)

Ebenfalls um den 24. Februar 2021 herum wird Jens Spahn gemäß eines ZDF-Beitrages mit den Worten zitiert „Jetzt ist Impfstoff da“ und bemängelt, dass zu schleppende Tempo bei der Impfgabe in den Impfzentren der Bundesländer. Deren Kapazität läge bei durchschnittlich 300.000 leistbaren Impfgaben pro Tag - bisher seien es im Durchschnitt während zwei Monaten aber nur rund 140.000 Impfgaben. Der Bund beschafft und liefert die Impfstoffe an die Länder nach einem Verteilungsschlüssel gemäß der jeweiligen Einwohnerzahlen aus. Für die Durchführung der Impfungen sind die Bundesländer in ihren Impfzentren verantwortlich. Auch dafür den AstraZeneca Impfstoff an den Mann und die Frau zu bringen.

Die Äußerungen zu den Impf-Zahlen, die Jens Spahn bezüglich des verschleppten Impf-Tempos in den Bundesländern zugeschrieben werden, sind nicht zutreffend. Wenn es in zahlreichen Medien-Berichten heißt, dass im Tagesdurchschnitt ca. 140.000 Impfungen stattfinden, ca. 300.000 aber kapazitativ in den Impfzentren möglich wären, dann beziehen sich derartige Äußerungen auf die jüngst zurückliegenden zwei Februar-Wochen 2021; nicht aber auf das Gesamtgeschehen beim Impfen seit dem 27. 12. 2020. Der tägliche Durchschnitt ist deutlich geringer.

Insgesamt - im 60-tägigen Durchschnitt vom 27.12. 2020 bis zum 24. 02. 2021 - beträgt die durchschnittliche Anzahl von verabreichten Impfdosen gemäß Excel-Tabelle des Robert-Koch-Instituts (RKI) nur ca. 92.400. Warum ist das so?

Ein logischer Grund liegt darin, dass es in den ersten 14 Tagen seit Beginn der Impf-Kampagne noch keine Zweit-Impfungen gab. Gemäß der medizinischen Vorgaben begannen die Zweit-Impfungen ab KW 03 2021. Ein zweiter Grund sind wochenlange Lieferengpässe Ende Januar / Anfang Februar 2021. Es kann nun mal nicht mehr Stoff verimpft werden, als vorhanden ist. Spahns Mahnung, schneller und mehr zu impfen, dürfte sich lediglich darauf bezogen haben, dass derzeit AstraZeneca-Impfstoffdosen in den Kühl-Aggregaten der Impfzentren auf Halde liegen - weil die Bevölkerung diesem Impfstoff skeptisch gegenüber steht bzw. mögliche Impftermine nicht vereinbart, weil man sich nicht mit dem AstraZeneca-Präparat nicht impfen lassen möchte. Hier hat sich inzwischen eine riesige Menge an brachliegendem AstraZeneca Impfstoff angestaut (siehe dazu weiter unten).

SPIEGEL-Grafik in Berufung auf Zahlen des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), Stand 04. Januar 2021. Für verfügbare / lieferbare Impfstoffdosen der Hersteller BioNTech / Pfizer, Moderna, AstraZeneca und Curevac rund 20 Mio. Impfdosen im ersten Quartal 2021 (01. Januar bis 31. März 2021). Rund 70 Mio. Impfstoffdosen im zweiten Quartal 2021 (01. April bis 30. Juni 2021) von den oben genannten vier Herstellern und zusätzlich von Jonsohn & Johnson. Die erste Liefer-Charge in der letzten Dezember-Woche für 2020 beim Impfstart wird hier nicht mit berechnet, weil die erste Impfwoche im Dezember 2020 nicht besonders relevant ist.

Für die ersten zwei Quartale 2021 sind in der Summe rund 90 Mio. Impfstoffdosen verfügbar bzw. per Prognose lieferbar.

Auch wenn der Impfstoff von Johnson & Johnson nur einmal verimpft werden muss (sein Anteil an den 90 Mio. soll ca. 10 Mio. Impfdosen betragen) wird hier der rechnerischen Einfachheit wegen mit zwei Impfgaben pro Person gerechnet. Eine kleine Unschärfe, die sich der Autor hier erlaubt.

Im dritten Quartal (01. Juli bis 30. September 2021) sollen weitere knapp 130 Mio. Impfstoffdosen zur Verfügung stehen. Hier macht dann der Johnson & Johnson Anteil ca. 18% innerhalb aller fünf verfügbaren Impfstoffe aus. Auch hier wird die einmalige Gabe dieses Impfstoffes rechnerisch vernachlässigt.

Gemäß der verlautbarten Zahlen sollen für die drei Quartale (Januar bis September 2021) insgesamt 220 Mio. Impfdosen mit denen man (unter Vernachlässigung der Einmal-Impfung mit dem Johnson & Johnson Impfstoff) 110 Mio. Personen mit zwei Impfgängen versorgen kann. OK - weit über den Durst hinaus.

Im Unterschied zu allen bisherigen Äußerungen der Bundesregierung und aus den Regierungszentralen der Bundesländer - vieles davon stets im Konjunktiv oder als Option formuliert - sieht die Lage an der „Impf-Front“ mit Stand 25. Februar 2021 (RKI Excel-Tabelle) aktuell und faktisch so aus. 5.544.145 Impfdosen (Impfstoffe von BioNTech / Pfizer, Moderna und AstraZeneca) insgesamt sind bisher verabreicht worden. In einem 60-Tage Zeitfenster vom 27. Dezember 2020 bis zum 25. Februar 2021. Das sind - wie weiter oben schon kurz erwähnt - im Durchschnitt ca. 92.400 Impfgaben pro Tag. Nicht 130.000, nicht 300.000 - sondern nur 92.400.

3.633.282 Personen (Impf-Quote 4,4 %) erhielten eine Erst-Impfung, 1.910.863 Personen (Impf-Quote 2,3 %) zwei Impfungen. Deutschland hinkt in Sachen Impfgabe im Vergleich zu inzwischen vielen anderen Ländern in der Welt sowie bezüglich des im eigenen Land machbar Möglichen, extrem hinterher.
Die Anzahl von durchschnittlich ca. 140.000 Impfgaben täglich wurde erst ab der KW 06 erreicht und beziffert bis heute das Tempo bzw. die Tagesmenge. In einer 7-Tage-Woche sind das knapp 1 Mio. Impfungen. Im Falle (bisher ist dies bei den verfügbaren Impfstoffen so) von zwei Impfgängen pro Person, macht dies 500.000 durchgeimpfte Personen pro Woche. Will man in diesem Tempo unter den aktuellen Gegebenheiten mindestens 60 Mio. Menschen vollständig impfen, so würde man 120 Wochen benötigen - 2,3 Jahre. Zeit jetzt den Turbo zu zünden, es muss ja nicht gleich Warp-Speed sein.

Abschließend noch eine Anmerkung zum AstraZeneca Impfstoff. Dieser Impfstoff ist erst seit dem 08. Februar 2021 in Anwendung. Innerhalb des Gesamtvolumens der bisherigen Impfgaben seit dem 27. Dezember 2021 beträgt der AstraZeneca-Anteil 270.986 Erst-Impfgaben und 0 Zweit-Impfgaben (Stand 25. Februar 2021, RKI). Liefertechnisch liegen aber mit Lieferungen am 06. 02. 2021 (345.600 Impfdosen), am 12. 02. 2021 (391.200 Impfdosen) und am 19. 02. 2021 )1.010.400 Impfdosen) bis dato insgesamt 1.747.200 Impfdosen bereit. Eine nächste Lieferung mit 1.468.800 AstraZeneca Impfdosen ist für den 02. März 2021 avisiert. (Übersichtsliste als Anlage des Rundschreibens Bundesministerium für Gesundheit, mit Brief-Anschreiben Jens Spahn vom 03. Februar 2021).

Nimmt man diese veröffentlichten Zahlen als tatsächlich gegeben an, so stünden ab der ersten März-Woche 2021 - abzüglich bereits verimpfter 270.986 Dosen - 2.945.014 AstraZeneca Impfstoff zur sofortigen Verfügung, sprich Impf-Anwendung. Also - liebe Ministerien in den Ländern - ab sofort könnt ihr mit diesem Impf-Kontingent und zwei Piks-Terminen knapp 1,5 Mio. Lehrer*innen in Deutschland durchimpfen.

Impf mich, wenn Du kannst

Nun zu den Kapazitäten der Impfzentren in Deutschland. Alle Impfzentren in den einzelnen Bundesländern können hier nicht gewürdigt werden. Somit als Beispiel die Situation in Baden-Württemberg. 9 große Zentral-Impfzentren und 70 kleine Kreis-Impfzentren sind dort vorhanden. In den Medien (z.B. SWR Online, 18. 01. 2021) heißt es dazu, die großen Zentral-Impfzentren können bis zu 1.500 Impfungen pro Tag leisten, die kleinen Kreis-Impf-Zentren ca. 800 Impfungen pro Tag. Berechnung Maximalauslastung: 9 x 1.500 = 13.500 und 70 x 800 = 56.000. 13.500 + 56.000 = 69.500 Impfgaben pro Tag in 79 Impfzentren am Beispiel Baden-Württemberg. Pro Impfzentrum sind dies im statistischen Durchschnitt dann 880 verabreichbare Impfgaben / Impfdosen pro Tag.

Nehmen wir den Durchschnittswert aus dem Baden-Württemberg Beispiel für ganz Deutschland an, sprich für alle 445 Impfzentren in den 16 Bundesländern, errechnet sich für die bundesweite Tagesleistung 880 Impfgaben x 445 Impfzentren = 391.600 Impfgaben pro Tag in Deutschland. In einer 7-Tage-Woche (bei rund um die Uhr geöffneten Impfzentren und einer vollen Auslastung) wären dann knapp 2,75 Mio. Impfgaben pro Woche möglich.

Die Zielsetzung der Bundeskanzlerin lautet mindestens 7,5 Mio. Impfgaben pro Woche. Und sie fügt hinzu, „die Impfzentren schafften das nicht allein, dazu würden noch die niedergelassenen Ärzte gebraucht“. Jetzt mal kurz durchatmen und mitdenken. Die aufwendig und teilweise luxuriös aufgebaute Infrastruktur der 445 Impfzentren in Deutschland kann pro Woche - wenn alle Impfzentren unter Volllast betrieben werden - nur gut ein Drittel der jetzt von der Kanzlerin genannten Zielsetzung von mindestens 7,5 Mio. wöchentlichen Impfgaben stemmen. Die verbleibende „Impflücke“ in Höhe von ca. 4,75 Mio. Impfgaben, sollen parallel die niedergelassenen Ärzte schließen. Nochmal zum mitdenken. Die Bundesregierung und die Bundesländer haben seit Herbst 2020 bis zum 15. Januar 2021 ein Riesennetz an Impfzentren etabliert, das sich bereits nach Ablauf der ersten zwei Betriebsmonate im Zuge der Impf-Kampagne als kapazitativ zu leistungsschwach erweist und nun ruft Angela Merkel nach dem Arzt.

Doctor, doctor give me the news. I’ve got a bad case of lovin' you.*

Ärzte. Alle Ärzte in Deutschland kann die Bundeskanzlerin nicht meinen, sondern die niedergelassenen Allgemeinmediziner*innen / Hausarztpraxen. Hier gibt es in Deutschland (KBV Statistik 2019) ca. 28.000 Einzelpraxen und knapp 9.000 Gemeinschaftspraxen; in der Summe 37.000 Praxen. Hinzuzählen kann man die Praxen für Innere Medizin und kommt dann auf knapp 60.000. Alle anderen niedergelassenen Ärzt*innen sind Fachärzt*innen, Phsychotherapeit*innen u.a.

Zöge man die knapp 60.000 Praxis-Betriebe der Allgemein- und Inneren Medizin zum Impfen heran, so müsste jede Praxis neben ihrem regulären Betriebsablauf zusätzlich Impfungen gegen das Covid-19 Virus vornehmen. Pauschal berechnet kämen auf jede Praxis - 4,75 Mio. Impfgaben / 60.000 Praxen - knapp 80 Impfgaben bzw. ebensoviele Besuchskontakte von Klient*innen. Auch hier müssten im Vorab Termin-Regelungen eingeführt werden. Angenommen jede Praxis bietet an zwei Wochentagen für jeweils 10 Personen einen Covid-19 Impftermin an, so wären pro Praxis 80 Personen innerhalb von rund vier Wochen geimpft. Idealtypischer Weise. Wie aber würde sich ein solches Szenario realistisch gestalten lassen?

Zum einen ist fraglich, wieviele Praxen ein Impf-Angebot machen bzw. machen müssten? Weil man sie dazu per Verordnung verpflichtet. Dann die Vorsichtsmaßnahmen und räumlichen sowie technischen Fragen. Mein Hausarzt beispielsweise, eine Gemeinschaftspraxis im dritten Stockwerk in einem so genannten Ärztehaus mit weiteren Facharzt-Praxen und einer Apotheke im Erdgeschoss, hat einen sehr kleinen Foyer-Bereich rund um den Empfangstresen. Wenn mehr als fünf Personen am Tresen stehen und mit den Arzthelferinnen sprechen bzw. in der Warteschlange stehen, muss die sechste Person bereits weiter nach hinten in den Flurbereich zu den ärztlichen Sprechzimmern ausweichen. Schon bei wenigen Praxis-Besuchern herrscht Gedränge. Das Wartezimmer bietet knapp 20 Sitzplätze. Insgesamt ist dieses Ärztehaus unter Normalbedingungen eine Super-Sache, aber das gesamte Gebäude ist eben sehr eng gebaut, was Treppenhaus und Räumlichkeiten betrifft.

In Corona-Zeiten sind „Massenansammlungen“ in Wartezimmern ohnehin nicht möglich. Termine für Arztbesuche werden möglichst punktuell in genauen Zeitfenstern vergeben, um Zusammenballungen von Klient*innen in den Praxisräumen zu vermeiden. Je nach gerade gültigem Lockdown-Szenario. Technisch und räumlich wäre eine zusätzliche Lager-Situation für die Impfstoffe in vielen Praxen erforderlich.

Immerhin, in Berlin sollen sich laut Angaben des Berliner Regierenden Bürgermeisters Michael Müller, rund 500 Hausarztpraxen bereits zum Mitmachen und testweisen Vorbereiten von Impf-Angeboten in den Praxen bereit erklärt haben. Das sind ewtas weniger als 20 % der rund 2.700 Hausarztpraxisniederlassungen in Berlin (Fachärtzte nicht einberechnet). 20 % von knapp 60.000 Hausarztpraxen in ganz Deutschland, ergibt 12.000 Praxen von denen dann (4,75 Mio. Impfgaben / 12.000 Praxen) knapp 396 Impfgaben / Besuchskontakte pro Paxis bewältigt werden müssten. Bei 20 Impfgängen pro Praxis pro Woche wäre man idealtypischer Weise in ca. 20 Wochen mit 4,75 Mio. Impfgaben durch, sprich Ende August 2021, wenn die Ärtze-Impf-Kampagne am 01. April 2021 starten würde.

Vorstellbar ist in diesem Zusammenhang, dass eine Hals-über-Kopf-Einbindung von Arzt-Praxen - wie sie dieser Tage regierungspolitisch im Bund angedacht wird - dazu führen könnte, dass die impfwillige Bevölkerung einen Ansturm auf die im lokalen Umfeld näher liegenden Arzt-Praxen entfacht und zugleich das Aufsuchen der entfernter liegenden Impf-Zentren zunehmend meidet. Es könnte sich im Alltagsgeschehen somit nur eine Verlagerung des Impf-Ortes ergeben, hin zu den Hausärzten, aber keine deutliche Steigerung der täglichen Impf-Quoten insgesamt. Zudem muss mit der Steigerung von Impfangeboten / Örtlichkeiten der kontinuierliche und ausreichende Nachschub an Impfstoffen gesichert sein. 

Die seit längerer Zeit bereits geplante Einbindung der Hausarztpraxen in die Impf-Kampagne ist grundsätzlich richtig und auch nötig. Klug und professionell wäre es gewesen, wenn alle dazu erforderlichen organisatorischen, logistischen und kapazitativen Aspekte frühzeitig in die Planungen und Vorbereitungen der nationalen Impf-Kampagne mit eingeflossen wären. In Parallelität mit den Konzepten bei der Errichtung und Etablierung der Impf-Zentren. Man hätte dann bereits einen Plan in der Tasche, um ihn adhoc im Bedarfsfall - gewissermaßen per Knopfdruck - „scharf zu stellen“. Die Bundeskanzlerin fängt aber erst jetzt an, über ein „logistisches Gelingen“ bezüglich des Ärzte-Einsatzes (sprich mit der KBV) zu reden. Ein erneuter Fall von „Murks“.

Jüngst bemerkte jemand in der weiten Welt der Medien - und es war keine Militär-Person, sondern jemand der sich mit Planung und Strategie auskennt in etwa dies - nichts ist schlimmer, als in einer Krise über die Krisenbewältigung nachdenken zu müssen.

Der bessere, weil schneller zielführende Weg wäre, die Impf-Kapazitäten in den etablierten Impf-Zentren deutlich zu erhöhen, anstatt eine absehbar langwierige Diskussion über den Zeitpunkt und Umfang des Hausärzte-Einsatzes zu führen. Dieser wird begleitend nötig werden, doch jetzt geht es um einen neuen und schnellen „Wumms“ in der Impf-Kampagne. Die Produktion und die störungsfreie Anlieferung und Verteilung der Impfstoffe und zugleich die Steigerung der Kapazitäten und die Beschleunigung der Impfprozeduren müssen Hand in Hand gehen.

Der Begriff Massen-Impfung muss in Deutschland nochmal neu verstanden werden. Ich nehme doch als „Kollateralschaden“ lieber ein paar Dutzend Personen pro Impftag in Kauf, denen nach der Impfung schwindelig wird, die Hautausschlag bekommen oder sich auch einmal kurz übergeben müssen, statt allzu ausgedehnt lange die tatsächlich gefährdeten Gruppen noch nicht impfen zu können und sie damit einem potentiell Tod bringenden Risiko auszusetzen. Das betrifft dann auch in der Folge die gesamte STIKO-Liste mit ihren zu starrsinnigen Vorgaben für die Reihenfolgen von zu impfenden Bevölkerungsgruppen. Ja - ohne eine Regelung und damit einhergehenden Hierarchie-Stufungen geht es nicht, aber das ganze Impf-Reihenfolge Konzept muss deutlich flexibler und dynamischer gestaltet und gehandhabt werden.

Die Termin-Vergaben und die Prozeduren in den Impfzentren müssen beschleunigt bzw. verkürzt werden. Die impfwillige Klientel muss mit fertig ausgefüllten Formularen vor Ort erscheinen, eingebucht werden und die Vor- und Nachbereitungszeiten (Anamnese-Gespräch und Nachbeobachtung) müssen auf ein nötiges Minimum verkürzt oder - wenn erkennbar nicht wichtig - gänzlich weggelassen werden.

Zusätzliche Bauten müssen her. Das können auch weniger luxuriös ausgestattete Zeltanlagen sein, die dort wo es möglich ist, auf den Flächen oder nahe bestehender Impf-Zentren errichtet werden. Weitere Massen-Impf-Angebote in Form von z.B. Drive-Through-Stationen müssen etabliert werden. Schneller mehr Durchsatz muss der Ruf lauten.

Es kann z.B. weiterhin nicht so bleiben, dass man in Hamburg nur einen einzigen Wochentag, den Donnerstag, als Terminvergabe-Tag für die Bevölkerung über die nicht angemessen funktionierende zentrale Hotline 116117 oder das Online-Verfahren anbietet, nur weil an einem jeden Donnerstag in Hamburg die nächste neue Charge an Impfstoffen angeliefert wird.

Persönliche Fallschilderungen

Nahe Verwandte von mir, noch fit genug als Ehepaar im eigenen Haushalt lebend, wählen sich an jedem Donnerstag die Finger wund und - wenn sie dann auf der Hotline durchkommen - heißt es, tut uns leid die Impfstoff-Kontingente der Woche sind verbraucht und die Termine vergeben. Rufen sie am nächsten Donnerstag wieder an.

Beide sind über 80 Jahre alt, er ein Herzpatient im Hochrisiko-Bereich, sie mittelmäßig atemwegerkrankt und stark hörgeschädigt. Herr Tschentscher tun Sie da was. Nehmen Sie sich ein Beispiel am Kollegen in Berlin.

Meine Mutter, ebenfalls Mitte 80 Jahre alt, im eigenen Haushalt lebend und gesundheitlich eher wenig belastet, erhielt bereits vor langen Wochen (wie alle Alten in Berlin, die nicht in Heimen, sondern im eigene Haushalt leben) Info-Post von Herrn Müller. Klare Angaben, alle nötigen Formulare zum Vorab-Ausfüllen dabei, spezielle Telefon-Nummer zur Impftermin-Vereinbarung. 24 / 7 / 12 rund um die Uhr. Kein Online-, SMS- oder sonstiger Digital-Schnick-Schnack, sondern altersgerechte Ansprache.

Meine Mutter - helle wie sie ist - setzte sich am Sonntagmorgen ans Telefon (weil da die anderen noch schlafen oder sich auf den Kirchgang vorbereiten) und nach einigen Anläufen waren die zwei Impftermine verlässlich festgezurrt. Seit dem 12. Februar 2021 ist meine Mutter mit zwei Impfgaben durchgeimpft und freut sich auf ihren Friseur-Besuch Anfang März 2021. Mit allem Drum und Dran hatte sie sich ca. vier Wochen mit dem Impf-Thema beschäftigen müssen, um im Ergebnis dann zum hundertprozentigen Erfolg zu gelangen. Aus ihrer Bewertung eine angemessene Zeit, wenn man berücksichtigt, dass am Anfang alles noch nicht reibungslos läuft.

Testen, testen, testen · Achtung - das ist keine Übung

Ordentlich zugelassene Testverfahren und so genannte Test-Kits stehen weltweit hinreichend zur Verfügung. Auch für den medizinischen Laien in der Eigenanwendung als Schnell-Test nutzbar. Diese Test-Kits müssen massenhaft angeschafft und verfügbar gemacht werden. Aber nicht, wie Jens Spahn vorschnell postulierte, in Apotheken als lokalen Test-Stationen, sondern als so zu nennende Jedermann / -frau-Anwendung. Klare Anwendungsanleitungen auf einem Beipackzettel genügen völlig.

Wenn es in Österreich gelungen ist, Schulkinder anzuleiten, einen Schnell-Test gewissermaßen als erweiterte Kunstform des Popelns selbst durchzuführen, dann wird das wohl auch für die Piefkes in Deutschland machbar sein. Vor allem schon allein deshalb, um z.B. endlich wieder mehr Sachlichkeit, Sicherheit und Ruhe in die hierzulande in jede nur denkbare Richtung überzeichnete Schulöffnungs- / Schulschließungsdebatte zu bringen.

Klar vermittelt - hier geht es wieder um die Kommunikationsqualität - muss allerdings werden, dass das verstärkte Testen der möglichst frühzeitigen Identifizierung von Infizierten sowie auch der Dunkelziffer-Aufklärung im Infektionsfall dient und nicht als eine Art „Freifahrschein“ oder Unbedenklichkeitserklärung für die kommende Urlaubsplanung oder die heimlich geplante Spontan-Party mißverstanden werden darf. Und es muss weiterhin klar darauf hingewiesen werden, insbesondere wenn verstärkt individuelle Tests im „stillen Kämmerlein“ durchgeführt werden, dass im Fall von positivem Ergebnis die Pflicht zur Meldung beim Gesundheitsamt inklusive potentieller Quarantäne-Maßnahmen besteht. Vernunft, Eigenverantwortung und Verantwortung anderen gegenüber, sind beim Selbst-Test also noch mehr gefragt, als bei Tests in kollektiven Situationen, wie Schulklassen, Arbeitsstätten und udgm., da in solchen Situationen so etwas wie ein Gruppen-Kontrollmechanismus existiert. Ein persönliches Positiv-Ergebnis lässt sich beim Testen in der Gruppe kaum verheimlichen; ein individueller Positiv-Test „Dahoam“ allerdings schon. Und natürlich muss kontinuierlich in bestimmten kurzen Rhythmen getestet werden, womit nochmal der Hinweis einhergeht, dass sehr viele Test-Kits für einen längeren Zeitraum zur Verfügung stehen müssen.

Lessons learnd

Lessons learned? Jetzt muss eine organisatorische Zäsur stattfinden. Das gesamte Pandemie-Bewältigungsszenario und vor allem die Impf-Kampagne müssen entpolitisiert werden und wieder so behandelt werden, wie beides behandelt werden muss - als ein gesundheitlich-molekularbiologisches Problem. Und gesundheitliche Probleme löst man nicht durch politische Debatten und Maßnahmen von Parteigängern, die mit einem Auge stets auf Wählerstimmen und die nächst erhoffte Wiederwahl in der Gemeinde, im Bundesland oder auf Bundesebene schielen. Und man löst sie auch nicht, wenn man in Talk-Shows und hier vorwiegend beim allzu eitlen Markus Lanz, im Nachhinein alle möglichen Fehler feuilletonistisch zu debattieren, um am nächsten Tag wieder neue Fehler zu machen und in der nächsten Talk-Show dann erneut herum zu schwabulieren.

* Songwriter: Moon Martin · Performing Artist: Robert Palmer

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