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Irrtum Rassismus · Erzähl’ mir was vom Pferd

Der in unzähligen Diskursen verwendete Begriff der Rasse ist im Zuge von Jahrhunderten determinierend falsch angewendet worden. Biologisch ist der Rassen-Begriff kein Kriterium zur Klassifizierung von Menschen bzw. menschlichen Merkmalen, Eigenschaften udgm. Kulturinterpretatorisch und politisch wurde er jedoch missbräuchlich verwendet und dabei vielfach über das Kriterium der Art und der Gattung gestellt.

Nach allgemein gültiger Hierarchie zur Klassifizierung oder Systematisierung dessen was da biologisch kreucht und fleucht (ohne hier diverse wissenschaftlich abweichende Diskurse zu erörtern) gibt es folgende Rangfolge-Einteilung vom Allgemeinen hin zum Speziellen bzw. Spezifischen In der biologisch-systematischen Hierarchie: Reich-Stamm-Klasse-Ordnung-Familie-Gattung-Art.

In der weiteren Differenzierung der Gattung gibt es ggf. zusätzliche Differenzierungen und am Ende der Kette dann die Art. Der Mensch (homo sapiens, der verstandesbegabte Mensch) ist in dieser Rangfolge eine einzige Art aus der Gattung Menschen (homo), die wiederum ein Unterbestanteil der Unterfamilie der Menschenaffen darstellt. Es gibt auf der Erde schlichtweg keine weitere Art des einzigen homo sapiens, dem verstandesbegabten Menschen, und ergo auch keine Über- oder Untermenschen innerhalb der menschlichen Art.

In der biologischen Systematik existiert der Rassenbegriff nicht. Der allgemeine Bios und seine Forschungswissenschaften kennen die Rasse als Einteilungs- oder Bestimmungsmerkmal also gar nicht. Warum aber ist unsere Welt – nicht seit eh und je, jedoch seit hunderten von Jahren - voller Rassentheorien?

Verantwortlich sind die Pferde bzw. wesentlich die Pferdezucht. Das Pferd – so wie wir es bis heute und seit langer Zeitgeschichte im landwirtschaftlichen Bereich als Arbeitstier, als Fortbewegungsmittel von Rittern, als Gehilfe bei der Wildtierjagd in Wäldern, als Kutschenzugtier im längst überkommenden Verkehrswesen oder als Kompagnon unter dem Hintern oder vor dem Sulky von Pferdesportlern auf irgendwelchen Parcours kennen – ist ein zivilisatorisches Zuchtergebnis. Und eng verbunden mit der Pferdezucht, wenn nicht ursächlich dadurch geprägt, ist der Rassenbegriff.

Biologisch gab es das „moderne“ Pferd nicht. Es gab Esel, Zebras, und – im Nachhinein so bezeichnete frühe Perde – wie z.B. das Equus Przewalski, die Onanger, die Tarpanae und andere früh- oder vorpferdartige Tiere. Das heute noch existente Zwerg-Pony liefert vielleicht noch am Besten eine Vorstellung dazu, wie ein pferdartiges Tier in früher Zeit ausgesehen haben möge.

Durch Zähmung und Züchtung hat sich der Mensch die pferdähnlichen Wildformen schon in früher Zeit nutzbar gemacht. Für die Landwirtschaft, den Transport und auch für militärische Zwecke. Es heißt, dass der Aufstand der Hethiter gegen die Ägypter unter Ramses II. in der Schlacht von Kadesch deshalb für die Hethiter erfolgreich war, weil sie ein Heer mit Streitwagen, gezogen von Onangers, ins Feld führten. 1274 vor Christi Geburt. Die professionelle Pferdezucht begann weit später in der Geschichte der Menschheit. Das die pferdartigen archaischen Unpaarhufer zur Domestizierung taugen, wurde jedoch schon sehr früh erkannt.

Nun, in der Tat – der Historiker, Berater und Autor des Einführungstextes zur aktuellen Ausstellung „Rassismus. Die Erfindung von Menschenrassen“ im Deutschen Hygiene-Museum Dresden, Christian Geulen, erläuterte im Interview mit DeutschlandfunkKultur am 25. 08. 2018 auf die Frage, wann denn der Rassismus geschaffen oder erfunden wurde?:

„...eines der ersten Phänomene, wo zum ersten Mal überhaupt der Rassenbegriff auf Menschen angewandt wurde - im späten Mittelalter war es im Wesentlichen ein Begriff aus der Pferdezucht -, das war im Kontext der spanischen Reconquista, der Rückeroberung der Iberischen Halbinsel durch katholische Königtümer. Ein langer Prozess, er zog sich, er zieht sich über drei, vier Jahrhunderte. Es ging darum, ein rein katholisches Spanien wiederherzustellen und vor allen Dingen die Mauren, also die Araber, die Muslime aus Spanien zu vertreiben.“

Knapp drei Viertel Spaniens standen ab dem frühen 8. Jahrhundert fast 700 Jahre lang unter arabischem Herrschaftseinfluss und importierte Pferde aus der arabischen Welt bildeten die Grundlage für eine sich rege entwickelnde Pferdezucht, insbesondere in Andalusien (arab. einst Al’Andalus).

Aus der Terminologie der Pferdezucht heraus, kamen ab etwa dem 15. Jahrhundert in Spanien allerlei biologisch-technologische Begrifflichkeiten aus dem Pferdezuchtwesen (oder auch anderen Domestizierungstechniken, wie z.B. bei der Züchtung von Hunde- und Katzenrassen) auch zur Beschreibung oder Klassifizierung von menschlichen Merkmalen und Verhaltensweisen zur Anwendung. In seinem Buch „Geschichte des Rassismus“ schreibt Christian Geulen dazu:

„... dass der Rassenbegriff keineswegs ein ursprünglich zoologisch-biologischer Begriff ist, der dann auf den Menschen übertragen wurde. Vielmehr verhält es sich eher umgekehrt. Der Begriff der Rasse, etymologisch dem arabischen „raz“ (Kopf, Anführer, auch Ursprung) und dem lateinischen „radix“ (Wurzel) abgeleitet, fand zur Zeit seines ersten vermehrten Auftretens im 15. Jahrhundert vor allem in zwei Kontexten Anwendung: in der Beschreibung machtvoller Adelsfamilien oder herrschaftlicher Dynastien und in der Pferdezucht. In beiden Fällen war „Rasse“ Sammelbegriff für jene Eigenschaften, welche die Nobilität, Größe und edle Abkunft des jeweiligen Hauses oder aber des jeweiligen Gestüts ausmachten.“

Beim Adel und in der Pferdezucht ist mit der Anwendung des Begriffs „Rasse“ also nicht die biologische Gattung oder Art gemeint, sondern die Abstammung bzw. in der chronologischen Hierarchie der so genannte Stammbaum. Dabei geht es in einem biologischen Sinne durchaus um ein, durch Blutsverwandtschaft verbundenes Familiengeschlecht, also um biologisch bedingte Erbfolgen oder Linien infolge von gesteuerter und kontrollierter Verheiratung innerhalb der Standesgruppe Adel. Und dieses selektive Verhalten der „Blaublüter“ ist unter dem Strich letztendlich eine Form von Zucht und bedingt vergleichbar mit der Züchtung von edlen Pferden.

Bedingt – denn der fundamentale Unterschied besteht darin, dass ein arabisches Vollblut tatsächlich eine gezüchtete Pferderasse darstellt (neben dem englischen Vollblut; es gibt nur diese zwei Vollblutrassen, neben den Warm- und Kaltblut-Pferden), wohingegen die Stammbäume oder Geschlechter der Tudors, Windsors, Staufer oder Habsburger eben keine „Adelsrasse“ sind, sondern lediglich Adelsfamilien. Zwar gesellschaftlich exponiert oder von besonderer Art, aber eben nicht zoologisch-biologisch und genetisch andersartig. Auch in den Adelsadern fließt dasselbe Blut der Gattung Mensch und seiner Art homo sapiens.

Und dennoch ging man im 15. und 16. Jahrhundert in Spanien dazu über, die im Bereich der Pferdezucht stimmige und zugleich im menschlichen Bereich nicht gültige Rassenbildung, auch als Kategorisierung oder als Ordnungskriterium heranzuziehen und auf gesellschaftliche Gruppen anzuwenden und pseudo-biologisch weiterzuentwickeln. Biologisch-wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Bereich der animalischen Domestizierung und Züchtung wurden aus politisch-ideologischen Motiven heraus interpretatorisch auf den Menschen angewandt und zu dem ausgebaut, was wir dann im Verlauf der Geschichte als diese oder jene anthropologische „Rassenlehre“ kennen. Lehren und Ideologien, die durchweg auf Missdeutungen und unwissenschaftlichen Fundamenten ruhen, die aber unsere Köpfe seit gut 500 Jahren so sehr beherrscht haben und weiterhin beherrschen, dass man aktuell weiterhin feststellen muss – das Zeitalter der Aufklärung ist noch längst nicht abgeschlossen. Ganz im Gegenteil.

Im Zuge des neuen Aufkommens und Erstarkens rechtsnationaler und rechtsradikaler Parteien und Bewegungen in Europa leben neben allerlei weiteren abstrusen Verschwörungstheorien auch „Rassenlehren“ im facettenreich neo-rassistischen Gewandt eines – sich jeweils länderspezifisch artikulierenden „Gut-Volkes“ – wieder verstärkt auf. Hier gilt es klare Fakten und umfassende Bildung zu vermitteln, um dem neu aufkommenden Dumpf- und Dummtum Paroli zu bieten. Und zwar cito. Denn wer will schon demnächst ein Pferd vor der Apotheke kotzen sehen?

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